Drama auf Hof Jewenhuber
Leseprobe Roman De Rode Gerd, Kapitel 2 "Drama auf Hof Jewenhuber" © Firoozeh Milbradt, TiPPS
Johannes Jewenhuber hatte einen Moorhof übernommen, der bereits in fünfter Generation geführt wurde. Von weiter nördlich aus der Gegend um Stade hatte er in dieses Gehöft eingeheiratet und brachte Sitten und Gebräuche mit, die hier neu waren. Sowohl für die Familie als auch den neuen Hausherrn schien sich diese Verbindung glücklich zu entwickeln. Vor allem Johannes hatte sich im Paradies gewähnt, denn sofort und ohne eigene Leistung war er zu einem reichen Bauern im Dorf Teufelsmoor aufgestiegen.
Diese Ortschaft war die einzige wohlhabende in der gesamten Umgebung. Ganz im Gegensatz zur Region Teufelsmoor zwischen Bremen, Bremerhaven und Hamburg, die vor Jahrhunderten aus unwegsamen morastigen Flächen bestand und von natürlichen oder menschengemachten Kanälen durchzogen wurde. Wo eine Entwässerung gelang, konnten die Moorbauern mit harter Arbeit Torf stechen. Durch den Verkauf der Torfsoden als Brennmaterial vor allem in der Hansestadt Bremen entkamen sie langsam der Armut. Aus dieser Zeit stammte die überlieferte Klage: »Dem Ersten der Tod, dem Zweiten die Not, dem Dritten das Brot«
Ganz anders war es dagegen im gleichnamigen Dorf Teufelsmoor. Auf das Jahr 1335 datiert die erste Erwähnung und zeigt, dass diese Ortschaft bereits mehrere Jahrhunderte vor allen anderen Siedlungen existierte. In diesem wohlhabenden Dorf standen auf den Höfen bereits große reetgedeckte Bauernhäuser und die Menschen lebten mit ihrem Vieh unter einem Dach. Einen kleinen Torfstich unterhielten die Bauern in der Nähe des Hauses, wo sie Brennmaterial für den Eigenbedarf abbauten. An den mühsamen Transport und den Verkauf nach Bremen dachte hier kaum jemand. Etwas nördlich zog sich ein sandiger Geestrücken am Dorf entlang, dessen dichter Wald und die vorgelagerten Wiesen Jagd und Viehzucht erlaubten. Selbst Pferde wurden in großer Zahl bis weit in das Umland verkauft. Schließlich hieß es in den ärmeren Gegenden: »Die da im Dorf Teufelsmoor, das sind die Grasbarone!«
So einer wurde Johannes Jewenhuber, als er die Witwe Gesine Heißenbüttel geheiratet hatte, und weil er bis dahin zeitlebens hart hatte arbeiten müssen, stieg ihm die neue Position zu Kopf. Die Erwartungen seiner neuen Frau passten nicht zu Johannes, denn sie hatte die große Hofstelle mit ihren jungen Söhnen und der erwachsenen Tochter Elsbetta lange Zeit und fast bis an das Ende ihrer Kräfte allein bewirtschaftet. Nun hofften sie, dass sich durch den neuen Bauern die Situation bessern würde. Anfänglich verlief das Leben auch harmonisch und Johannes hatte sich bemüht, seiner neuen Rolle gerecht zu werden. Jedoch konnte er den schönen Schein eines guten Familienlebens nicht lange aufrechterhalten, denn im Grunde seiner Natur war er arbeitsscheu, und so kam es bald zu Diskussionen um die Pflichten auf dem Hof. Gesine versuchte zu retten, was zu retten war, ermunterte ihren Mann, versuchte es mit Liebe und Verständnis und schließlich mit Streit.
Der Bauer hat immer recht. Das jedenfalls war Jewenhubers Devise, und in der Folge entwickelte sich Johannes zu einem nörgelnden Dickkopf und Tyrannen. Seine Frau versuchte stets, ihn zu besänftigen, aber als hätte sie Brenntorf in die Glut geschleudert, geriet Johannes dadurch nur noch mehr außer Kontrolle. Das Verhältnis zu seiner Familie und der Nachbarschaft verschlechterte sich von Tag zu Tag.
Das Drama begann, als das unberechenbare Familienoberhaupt eines Tages seine Frau und die Stiefkinder zu sich rief. Sie versammelten sich an der Feuerstelle in der Mitte des Hauses, die das Vieh vom Wohnbereich trennte, und Johannes verkündete, dass er nun einiges zu erklären hätte, damit alle wüssten, wie es in Zukunft auf dem Hof zu laufen habe. Es folgte eine lange Liste von Vorschriften und sodann befahl er zwei Knechte herein, die zuvor genaue Anweisungen erhalten hatten. Sie nahmen ihre schweren Hämmer und schlugen aus der seitlichen Hauswand zwei der gemauerten Gefache heraus, sodass ein schmaler Ausgang entstand. Eine vorbereitete Tür wurde eingebaut und sofort verschwanden die Handwerker kopfschüttelnd wieder, weil sie nicht einmal wussten, wozu diese Vorführung gut gewesen sein sollte.
Johannes aber hatte damit seine Macht demonstriert. Er stand auf und sagte in überheblichem Ton: »Da, wo ich herkomme, haben alle Häuser diese kleine Pforte, die wir Brauttür nennen. Sie dient nur einem Zweck: Wenn die Bäuerin stirbt, ist dies ihr letzter Weg. Niemals sonst wird die Tür geöffnet. Der tägliche Anblick soll der Frau ins Bewusstsein rufen, dass sie vor ihrem Tod den Hof nicht verlassen darf. Ich will, dass dir das ab jetzt klar ist!«
Er wandte sich seiner Frau zu, die mit einem Rest an Stolz kerzengerade dasaß und sich auf die Lippen biss. Innerlich hatte sie beschlossen, dass sie diesen Verrückten nie mehr unterstützen würde. Doch ihre Erkenntnis kam zu spät. Johannes, nun erst richtig in Fahrt gekommen, wandte sich der Stieftochter zu.
»Elsbetta, merke dir das gut! Du wirst eines Tages auf einen anderen Hof einheiraten. Sei dort nicht so zänkisch wie deine Mutter hier, denke immer an diese Tür!« Leider übersah Johannes bei seiner Tochter etwas Wesentliches. Da im Königreich Hannover bereits seit 1845 Schulpflicht bestand, konnte der Stiefvater ihr das Lernen nicht verbieten, was er des Öfteren versucht hatte. Da sie selbst interessiert alles Wissen in sich aufnahm, war sie gebildeter, als Johannes es sich je hätte träumen lassen. Also schwieg sie und beschloss für sich: Irgendwann verlasse ich das alles hier, seine Brauttür ist doch nicht für mich. Die Söhne saßen zusammengesunken da und wussten ebenfalls nichts zu sagen. Schließlich ging dieser unangenehme Tag zu Ende.
Später im Winter erkrankte Johannes schwer und er, der ein Baum von einem Mann war, rang plötzlich mit dem Tode. In seiner Überheblichkeit war er stets davon ausgegangen, dass ihm das nicht passieren könnte. Denn sonst hätte er wohl nicht vor seiner Krankheit von der Sitte berichtet, dass der Familienrat beschließen musste, ob als Hoffnung für die Genesung ein Huhn geschlachtet und nur für den kranken Bauern zubereitet werden sollte. Denn schon lange wurde allseits vermutet, dass dieses Federvieh Leben retten konnte. Die Familie musste abwägen, was wertvoller war, das Huhn zu behalten oder die Aussicht auf das Überleben des Familienoberhauptes.
Der Familienrat tagte, aber nur Elsbetta war dagegen, das Huhn zu opfern. Schließlich überstand Johannes die Krankheit, aber das Familienleben wurde nicht besser. Im Gegenteil, es war die Hölle und Elsbetta dachte nur noch an Flucht, egal wohin! Weder der Mutter noch den Söhnen gelang es, Johannes zu überzeugen, den Weg des persönlichen Niedergangs zu verlassen. Im Gegenteil, er stritt über jede Kleinigkeit und begann die Nachbarn zu schikanieren, bis der Moorkommissar Erasmus Castell höchst persönlich einschreiten musste. Nichts half, die Streitigkeiten nahmen zu. Und egal, um was es ging, am Ende waren sich alle spinnefeind, ohne zu wissen, was genau der Anlass gewesen war.
Um endlich Ruhe zu haben, gingen die Familienmitglieder und Dorfbewohner dem Bauern Jewenhuber mehr und mehr aus dem Weg. Denn wer den Frieden nicht in sich trägt, musste bereits auf Erden in der Hölle sein, glaubten sie. Elsbetta konnte ihrem Stiefvater die Ungerechtigkeiten und Erniedrigungen nicht verzeihen. Sie musste zusehen, wie schlecht er vor allem ihre Mutter behandelte und dass Fortuna den Hof nach und nach verließ. Sie konnte bereits vorhersehen, welche Folgen das für ihr Leben haben würde.
Niemand in ihrer Familie bemerkte ihren Gemütszustand, denn sie erledigte weiterhin fleißig ihre tägliche Arbeit. Doch eines Tages folgte sie ihrem Traum nach Freiheit und verließ den Hof, ohne sich zu verabschieden.
Weiter mit Kapitel 3 Eine neue Zukunft
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