Eine neue Zukunft
Leseprobe Roman De Rode Gerd, Kapitel 3 "Eine neue Zukunft" © Firoozeh Milbradt, TiPPS
Im Westen schlängelte sich der Fluss Beek am Dorf Teufelsmoor vorbei. Rechts und links der Windungen gab es sumpfige Bereiche, flache Gewässer und unübersichtliche Torfinseln, die mit niedrigen Birken bewachsen waren. Absichtlich fuhr dort niemand hinein, denn man konnte dort schnell die Orientierung verlieren. Außerdem hielt der Aberglaube viele Menschen davon ab, die Gegend zu erkunden, denn die Sage von dem Riesen Hüklüt, der bei seinem Weg durch den Sumpf diese zerklüftete Moorlandschaft geschaffen haben soll, machte vielen Menschen Angst. Wer aber ein Versteck brauchte oder unerkannt bleiben wollte, suchte Schutz in dem Labyrinth der Wasserläufe.
Es war genau diese Flusslandschaft, die Elsbetta die Gelegenheit bot, der Beek ein Stück nach Süden zu folgen, während sie den Verkehr der Torfkähne auf dem schmalen Fluss beobachtete. Diese kamen von Norden aus dem Torfgebiet Huvenhoopsmoor und hatten Bremen zum Ziel. Auf dem Fluss konnten die beladenen Schiffe nicht segeln, sondern mussten mit Stangen geschoben oder getreidelt, also mit Tauen vom Ufer gezogen, werden. Elsbetta war als Kind erst ein Mal in der für sie weit entfernten Stadt gewesen und bereits dieser erste Eindruck hielt ihre Fantasie gefangen. Ihr Vater hatte sich Zeit genommen und sie sah die Baustelle des Bahnhofs, den Hafen an der Schlachte mit den riesigen Masten der Hochseesegler und die herrschaftlichen Stadthäuser. Sie hatte sich den Anblick der reich dekorierten Häuserfassaden eingeprägt und träumte seitdem einen unerreichbaren Traum!
Jetzt schaute sie auf den Fluss und fragte sich, ob wohl ein Torfschiffer anhalten würde, um sie mitzunehmen, ihrem alten Kindheitstraum entgegen. Obwohl sie die gruseligen Geschichten über Schmuggler und Verbrecher auf den Flüssen kannte, beschloss sie, ihre Bedenken abzuschütteln und bald einen Kahn anzuhalten. Ihr fiel ein großer Mann in einem Torfkahn auf, der nicht die übliche Ladung führte und mühelos durch das Wasser glitt. Mit wehendem Mantel stand der Schiffer am Ruder und obwohl er mit den langen roten Haaren besonders auffällig war, beachteten ihn die anderen Torfschiffer nicht.
Als ob er unsichtbar wäre, überlegte Elsbetta laut und schaute kurz auf zum Horizont, ob noch weitere Schiffe folgten. Aber nichts war zu sehen, und als sie sich wieder umdrehte, erschrak sie. Plötzlich war auch der sonderbare Torfkahnfahrer verschwunden!
Er ist tatsächlich unsichtbar!, dachte sie noch.
Ihr erster Versuch, ein Schiff nach Bremen zu finden, war zu zaghaft gewesen.
Morgen werde ich jemanden anhalten, versprach sie sich selbst, denn allein konnte sie nicht lange in der Wildnis am Fluss bleiben.
In der sternklaren Nacht zogen nochmals die schlimmen Erlebnisse mit ihrem Stiefvater in ihren Gedanken vorüber und trotz aller Bedenken vor einer ungewissen Zukunft fühlte sie sich das erste Mal richtig frei.
Am nächsten Morgen kamen die immer gleichen Schiffe in Sicht. Die Torfstecher schafften Unmengen an Brennmaterial nach Bremen und Elsbetta beobachtete wieder den Fluss, denn sie war entschlossen, endlich einen Torfkahn anzuhalten. Doch ihr fehlte der letzte Entschluss. Sie war unsicher. Wie sollte sie ihre Bitte um Mitfahrt signalisieren? Und würde überhaupt jemand anhalten? Alle Torfschiffer wirkten abwesend, standen mühevoll gebeugt auf ihren Kähnen und sahen nicht einmal zu ihr herüber. Sie schaute bereits längere Zeit auf den Fluss und als um die Mittagszeit die letzten Boote an ihr vorbeigefahren waren, schien die Gelegenheit abermals verpasst zu sein.
Sie nahm ihr Bündel wieder auf, um es am nächsten Tag erneut zu versuchen. Da entdeckte sie ein Segel am Horizont, das über die Landschaft zu schweben schien und schnell vorankam. Ein Segel?! Hier, wo alle anderen Torfbauern ihre Kähne nur mit Körperkraft bewegten? Wer kann denn auf dem schmalen Fluss segeln? Geht das überhaupt?, dachte sie. Eine Flussbiegung weiter kam das Boot in Sicht. Darauf stand am Ruder der Schiffer mit den roten Haaren.
Elsbettas Impuls traf sie wie ein Donnerschlag. Sie hob die Hand, winkte zu ihm hinüber und fühlte das Herz bis zum Hals klopfen, als der Mann zu ihr herüberschaute und sich sofort wieder abwandte. So etwas hatte er noch nicht erlebt, eine Frau, die mitfahren wollte? Unmöglich! Doch Elsbetta kannte nur ihr Ziel, die Stadt Bremen! Sie rief und winkte mit einem Tuch, bis er ihr mit einer knappen Geste bedeutete, sie möge warten.
Doch sie glaubte es nicht! Weiter und weiter war er fast an ihr vorbeigefahren. Vor Schreck sprang sie zurück, denn mit einem lauten Knall zog ein Stein plötzlich das Segel nach unten. Ein Griff ans Ruder genügte und mit dem letzten Manöver kam das Schiff am Ufer zum Stillstand. Im weichen Moorboden fielen Elsbettas zitternde Knie nicht auf. Der fremde Torfkahnfahrer sprach sie an.
Buchbestellung "der Rote Gerd"
E-Mail: info@worpswede-tipps.de