Macht und Anspruch
Leseprobe Roman Das Moorgetüm, Kapitel 1 "Macht und Anspruch" © Firoozeh Milbradt, TiPPS
„Schneller!“ brüllte der Spezialist des Schwarzen Vogtes eine Reihe von Männern an, die Holzteile, Kisten und Zahnräder aus dem großen Lagerhaus schleppten. Ihr Weg führte über eine schmale Straße und direkt gegenüber zu dem Stadtkanal an der Rückseite des Hafens an der Schlachte. Hier lagen in langer Reihe große Torfkähne und Transportschiffe der Bremer Eichenfahrer. Die schwere Fracht drückte die Schiffe bereits tief ins Wasser. Bald würden sie abfahren.
Sein Machtstreben war dem Schwarzen Vogt anzusehen. Auf seinem privaten Torfschiff, das gerade in den Kanal einbog und vor dem ersten Transportkahn anlegte, stand er stolz und siegesgewiss. Einige Männer eilten herbei und schoben ein Brett zum bequemeren Ausstieg auf das Boot. Der Vogt schritt bedächtig und gerade schnell genug, um seinen langen Umhang wirkungsvoll wehen zu lassen. Wie immer verdeckte die Kapuze sein Gesicht. Ein letztes Mal hatte er das große offene Haus im Moor inspiziert, in dem die Maschine jetzt zusammengebaut werden sollte.
Vor dem Eingang seines Lagerhauses hielt er kurz inne und schaute sich um. Aus drei Toren kam Mann für Mann mit den Einzelteilen der Maschine. Auf dem kurzen Weg zu den Schiffen wurden sie von den Spezialisten kontrolliert. Diese hatten im Team die ungewöhnlichste Konstruktion der damaligen Epoche entworfen und die Pläne gezeichnet. Jetzt war es ihre Aufgabe, die Beladung der Schiffe zu koordinieren. Das riesige Haus im Rücken und vor sich die ameisenartige Geschäftigkeit, gaben dem Vogt ein blindes Selbstvertrauen und das Gefühl von unangefochtener Macht. Es stand für ihn viel auf dem Spiel. Er und seine Familie aus den Fürstenhäusern Europas hatten sich für dieses Projekt zusammengefunden. Der Vogt erkannte, wie wertvoll der Torf aus dem Teufelsmoor in den richtigen Händen war und dass Macht und Reichtum winkten, wenn nur alles gut ginge. Seine Maschine würde in wenigen Monaten den gesamten Torf abgraben, eine Leistung für die tausende Moorbauern Jahre bräuchten. „Gewiss, die Moorbauern bleiben auf der Strecke, aber na und? Ihre Zeit geht jetzt schnell zu Ende. Die neue Eisenbahn wird bald Kohle bringen und danach ist es vorbei mit dem Brenntorf für Bremen“, rechtfertigte sich der Vogt in Gedanken für seine rücksichtslose Vorgehensweise. Seit Jahrhunderten wurde in Bremen mit dem Rohstoff der Region geheizt. Der Vogt hatte die Vorzeichen des Niederganges als Einziger früh erkannt. Zögern kam nicht mehr infrage: „Jetzt oder nie!“
Zwei Jahre Vorbereitung mit Hindernissen lagen hinter dem Vogt. Wie die kleine Rebellengruppe aus dem Teufelsmoor auf ihn aufmerksam wurde, hatte er bis heute nicht richtig verstanden. Seine Spione waren der Meinung, die seien keine Gefahr, weil die Rebellen die Maschine am Weyerberg in Worpswede erwarten würden, weit ab vom geplanten Einsatzort. „Also abgehakt,! Ich warte weitere Berichte ab“, dachte der Vogt. „Aber was ist mit dem Amtmann Cornelius, was wollte der eigentlich von mir? Wird der etwa noch gefährlich?“
Kaum war der Gedanke verflogen, sah der Vogt aus der anderen Richtung den Amtmann Cornelius von der Zollstelle am Torfschiffhafen kommen, im Geleit 14 bewaffnete Männer. Vergeblich hatte Cornelius mehrfach versucht, das Lagerhaus zu inspizieren. Immer wieder war er brüsk abgewiesen worden. Nun war seine Verstärkung da, die der Amtmann bei der königlichen Regierung in Hannover dringend zur Unterstützung angefordert hatte. Allerdings gab es eine Geschichte hinter den Vorkommnissen um den Amtmannes Cornelius. Vor einem Jahr war er nach Bremen entsandt worden, um hier und im Teufelsmoor die Zollstrukturen zu verbessern. Nur ein Mann hatte gewaltsamen Widerstand geleistet, was den Amtmann fast um Amt und Würde gebracht hätte.
Der Rote Gerd, ein raffinierter und dazu unberechenbarer Schmuggler, konnte lange Zeit nicht besiegt werden. Schließlich war es doch noch gelungen, ihn mithilfe des Schwarzen Vogts zu bezwingen, nachdem dieser den Schmuggler verraten hatte. Als Gegenleistung erhielt der Vogt freie Durchfahrt für seine Transportschiffe. Die ersten Ladungen ließ der Amtmann passieren, doch nun sollte Schluss sein damit. Der Amtmann war ohnehin mit den Nerven fix und fertig, denn die Jagd auf den Schmuggler hatte ein ungewisses Ende genommen und war voller Demütigungen gewesen. Jetzt, mit den Männern im Rücken, fühlte er sich wieder als Repräsentant der Staatsmacht. Sein Machtanspruch würde Widerspruch nicht mehr dulden!
Der Auftritt war entsprechend energisch. Die eindrucksvolle Paradeuniform sollte seinem Begehren Nachdruck verleihen. Schwarze, blank geputzte Stiefel, eine weinrote Reithose und eine Uniformjacke in Königsblau mit goldenen Kordeln, verliehen dem Amtmann ein respektvolles Aussehen. Orden glänzten an der Jacke, aber an der rechten Seite war ein Loch zu erkennen, so als sei etwas herausgerissen worden.
Jetzt stand der Amtmann vor dem Mann im schwarzen Umhang und wusste aus lauter Empörung über den Vogt nicht mehr genau, was er sagen wollte. Zwar ließ sich der Vogt nichts anmerken, doch auch er war seit langem verärgert. Die pedantischen Vorschriften das Amtmannes gingen allen hier auf die Nerven. „Was wollt ihr denn?“ kam der Vogt dem Amtmann zuvor. „Was soll das, wir haben eine Vereinbarung und überhaupt, habt ihr von eurer Jacke einen Orden verloren?“, fragte er zynisch. Voller Zorn brüllte der Amtmann zurück: „Das geht Euch nichts an, wir wollen nun Euer Lager sehen!“ Seine Nerven lagen blank. Das konnten alle umstehenden Männer deutlich spüren.
Schlagartig wurde es still im Hafen. Die vielen arbeitenden Männer erstarrten auf der Stelle. „Den Vogt brüllt man nicht an“, belehrte einer der Spezialisten, der von seinem Plan aufschaute, den Amtmann durch Zuruf. Dieser war verblüfft, von der Seite her und von einem Mann des Vogtes belehrt zu werden. Dann schaute Cornelius wieder zum Vogt. Zwar konnte er das Gesicht immer noch nicht erkennen, doch die plötzlich sanfte Stimme des Vogtes beruhigte den Amtmann vorerst.
Seine Männer nahmen die Hände von den Waffen. „Kommt doch herein, Durchlaucht“, bat der Vogt mit einer freundlichen Geste. Die Gruppe betrat das Haus und als alle dem langen Gang folgten, lösten sich von den Flurwänden neben der Türe einige unauffällige Gestalten. Es war die persönliche Leibgarde des Vogtes, die der Gruppe leise den Rückweg verstellte. In der großen Halle dann eine demütigende Überraschung für Amtmann Cornelius: Er und seine Zöllner standen vor der bewaffneten Garde des Vogtes. Eine Flucht zurück war bereits unmöglich und Cornelius musste die Machtfülle des Vogtes in diesem Hause anerkennen.
„Willkommen“, fast freundschaftlich war der Klang seiner Stimme. „Legt die Waffen ab, bitte sehr, und seid für längere Zeit unsere geschätzten Gäste“. Mehr Worte verlor der Vogt selten. Auf einen Wink nahmen seine Männer die Waffen beiseite und der Vogt erklärte weiter: „Man wird Euch nun die Quartiere zuweisen“.
„Wir wollen nur das Haus kontrollieren“, traute sich der Amtmann einzuwerfen. „Aber ja doch, Amtmann, natürlich! Ihr könnt nun unser komfortables Verlies kontrollieren. Ich werde Euch sogar helfen zu verstehen, wie das Leben auf der anderen Seite Eurer Vorschriften ist. Ihr dürft auf unserer Maschine arbeiten und in einigen Jahren genießen Sie die Welt mit einer ganz neuen Einstellung“, äußerte der Vogt mit leichtem Nachdruck in der Stimme. Er verhielt sich dem Amtmann gegenüber immer noch außerordentlich höflich. Dieser verwechselte die Freundlichkeit des Vogts wohl mit Schwäche: „Vogt, ich wünsche aber nicht, euer Gast zu sein“, widersprach er deshalb unüberhörbar laut.
„Doch, Ihr wünscht das!“ Mit der Wucht einer Keule traf dieser ruhige und mit sehr tiefer Stimme gesprochene Satz den Amtmann. Der Vogt beendete die Diskussion mit einer Handbewegung und sofort führte seine Garde Cornelius und die Männer durch eine Tür. Zwei Stockwerke tiefer kamen sie an in einem dunklen Gewölbekeller mit Eisenkäfigen. Als der Vogt die Nachricht erhielt, dass alle gut einquartiert wurden, gab er seiner Leibgarde die Anweisung, dem Amtmann am kommenden Morgen seinen besten Gruß auszurichten. Amtmann Cornelius hätte nun die Gelegenheit, lange über seine Vorschriften nachzudenken und diese besser zu vergessen! In Kürze bekäme er neue Instruktionen, nämlich die des Vogtes.
Dieser war jetzt zufrieden und überprüfte erneut das Beladen der Schiffe. Die Arbeiter hatten Angst, niemand schaute auf. Sie senkten den Kopf noch tiefer als die beiden Raben des Vogtes anflogen und ihrem Herrn etwas zuflüsterten. „Meister, die Rebellen arbeiten am Weyerberg, die haben keine Ahnung, ihr seid sicher!“ Nur Krähh war noch seiner Stimme mächtig. Der zweite Rabe hieß Nähh und das war es auch schon, was er sagen konnte. Mehr brachte er seit einem Unfall nicht heraus. Wenn er „Nähh“ rief, klang es immer wie „Nein“. Entsprechend oft gab es Missverständnisse. Wie folgenschwer die noch werden würden, ahnte der Vogt nicht.
„Perfekt“, lobte der Vogt seine Raben. „Jetzt kümmert ihr euch um das Personal für die Maschine, den Amtmann und vierzehn weitere Männer haben wir bereits. Sucht mir noch hundert Arbeiter hier im Hafen oder in den Kneipen der Stadt. Wir brauchen außerdem noch einen Musiker, der die Trommel bedienen kann. Ansonsten ist es egal, wen ihr aussucht, nur Laufen müssen sie können. Fangt sie mit meinen Leuten ein und ab in das Verlies bis wir die Gefangenen ins Moor bringen.“ Die Raben hoben ab, sie waren sozusagen der schnelle Nachrichtendienst des Vogtes.
Am Weyerberg in Worpswede bauten die Rebellen zum Schein weitere sinnlose Hindernisse gegen die Maschine auf. Und richtig, die Raben brachten diese Nachrichten immer wieder zum Vogt. Genau das war die Absicht der kleinen Strategen aus dem Moor. Der Schwarze Vogt würde nun annehmen, dass dort die Rebellen keine Gefahr darstellen. Der Weyerberg war schließlich nicht das Ziel der Maschine. Wird der Vogt die Täuschung durchschauen?
0520mt00 Media: Text TiPPS, Bild, Technik von Leonardo da Vinci Milbradt, Beitragsbild Vogt Karin Bison Unger, Lektorat Monika Ruddek
TiPP
Der vollständige Roman kann in weiten Teilen ab 2022 kostenlos hier gelesen werden.
Die Zeichnungen von Leonardo da Vinci
Die Einzelteile einer gigantischen Torfabbaumaschine wurden gerade auf Transportschiffe ins Teufelsmoor verladen. Der Vogt hatte sich für die technische Umsetzung an den Zeichnungen von Leonardo da Vinci orientiert. Obwohl 1855 bereits die Dampfmaschinen die Industrie zu beherrschen begannen, entschied sich der Vogt für eine hölzerne Konstruktion. Schließlich wollte er mit dieser einmaligen technischen Innovation allen Torf im Teufelsmoor abbauen. Eine Maschine aus Eisen wäre zu schwer geworden und sie könnte im Moor versinken. Damit baute der Vogt gegen den Trend der Zeit und doch genau richtig, nämlich angepasst an die besonderen Bedingungen im Moor. Diese stake Maschine würde seinen Machtanspruch über das Teufelsmoor unterstreichen. Neben ihm und seiner Maschine zum Torfabbau werden die Spaten der Torfstecher niemals bestehen können.