Zuflucht beim Schwarzen Vogt
Leseprobe Roman De Rode Gerd, Kapitel 13 "Zuflucht beim Schwarzen Vogt" © Firoozeh Milbradt, TiPPS
Ein Zeitsprung in der Handlung zum Kapitel 13:
Als Gerd auf die Straße stolperte, fiel sein Blick wieder auf das Plakat an der Hauswand. Seine Augen, jetzt an die Dunkelheit gewöhnt, wollten es nicht glauben und doch sah er sich seinem Antlitz gegenüber. Darunter stand geschrieben:
Mann, sehr groß, über 2 Meter.
Zollstelle überfallen und ausgeraubt.
Zöllner erschlagen und auf der Flucht.
Hinweise an Moorkommissar Erasmus Castell
»Was soll das, was war denn schon passiert, meine harmlose Gegenwehr wird zu einem Verbrechen?« Im Schockzustand fand er keine Erklärung und vergaß dabei, dass er nicht auffallen durfte. Auf dem Weg zum Schiff geriet er in Hektik und verlor einige der Urkundenrollen schon auf der Straße. Auch stieg er zu schnell und polternd über die vorne liegenden Torfkähne hinweg. War jemand aufgewacht? Seine Schritte wogen schwer und die Boote begannen sich aufzuschaukeln. Zu allem Überfluss blieb er mit dem Mantel an einem Anker hängen. In der Eile riss er sich los, sprang in sein Boot, ließ achtlos die Papiere zu Boden fallen und legte ab.
Zuerst war es nur Aufregung, aber jetzt überkam ihn die Wut wegen der falschen Anschuldigung. Jetzt sollte ihm ein Mord angehängt werden?
Mord! Das Urteil war also schon gesprochen und jetzt würden sie ihn mit allen Mitteln jagen. Aber woher hatten sie sein Bild? Die Zöllner, die er im Hafen Kreuzkuhle niedergeschlagen hatte, konnten ihn in der späten Dämmerung nicht erkannt haben. Für Gerd ergab das alles keinen Sinn. Dieser kleine Vorfall sollte eine derart große Sache werden? Er glaubte immer noch an einen Irrtum und verstand nicht, dass es bei der Jagd auf ihn weniger um seine Person ging als vielmehr um eine Demonstration der Regierung gegen die Schmuggler allgemein. Von der künftigen persönlichen Rache des Amtmannes einmal abgesehen.
In der mondhellen Nacht stakte der unbeherrschte Schmuggler weiter auf den Kanälen in Richtung Bremer Innenstadt. An jeder Brücke hing bereits sein Steckbrief und kein Schiffer konnte das Plakat übersehen. Gerd vermutete überall neugierige Augen und folgte dennoch den Wasserstraßen tiefer hinein in die Stadt. Langsam zogen die Häuser als dunkle Schatten vorüber, an der Seite lief ein Betrunkener, dann noch einer. Spärliches Licht fiel aus den wenigen Straßenlaternen, die hier bereits mit Gas betrieben wurden. Nur ein leises Plätschern des Wassers begleitete das Boot. Schließlich endete der Kanal. Gerd nahm ein kleines Paket aus der Ladeluke und ging zu Fuß weiter. Vor dem Eingang einer Stadtvilla blieb er stehen und schaute auf das vertraute Türschild aus hellem Marmor, darauf stand der Name seines größten Abenteuers: Isabella de la Conté.
Es waren nur noch wenige Schritte bis zur Türglocke und doch verharrte er plötzlich auf dem Gehsteig.
»Ich kann doch unmöglich zu dieser fortgeschrittenen Stunde nach dem Diener läuten und Isabella wecken lassen. Und wie sehe ich überhaupt aus?«, murmelte er in die Nacht. Mit dieser Einschätzung lag Gerd richtig. Die Haare wild durcheinander, der Mantel eingerissen und einige Blutspuren auf den Stiefeln waren keine Empfehlung für einen nächtlichen Besuch bei der Geliebten.
Zu gern hätte er bei seiner vertrauten Herzensdame ausgeruht, doch es siegte der Verstand. Man würde nach ihm suchen oder die Zöllner bekämen einen Hinweis, dass Gerd hier seit Langem ein und aus ging. Weil er Isabella nicht gefährden wollte, machte er kehrt und änderte sein Ziel. »Später, später komme ich wieder«, überlegte er. Die Fahrt ging rückwärts, bis er in einen Kanal in Richtung der Weser einbiegen konnte, der schließlich parallel zum Fluss verlief. Hier kam eine lange Reihe von Packhäusern in Sicht, deren Vorderseiten zum Seehafen an der Weser ausgerichtet waren. An der Rückseite führte durch eine Straße getrennt der Kanal entlang. In dieser Gegend lag der seit Jahrhunderten bedeutende Hafen der Stadt Bremen, die Schlachte. Doch die wirtschaftlich guten Zeiten waren hier längst vorbei, denn große Handelsschiffe legten jetzt weiter nördlich an.
Kaum noch gute Ware, dachte Gerd. Ich muss etwas verändern.
Als er sich dem Hafen näherte, schob sich langsam der mächtige Schatten eines hohen Gebäudes über sein Schiff. Hier an den Speicherhäusern des Hafens endete der Stadtgraben des städtischen Kanalnetzes. Die Hafenarbeiter löschten die Waren der Schiffe, die anschließend mit Pferdefuhrwerken weiter in die Stadt transportiert wurden oder die Ballen, Kisten und Säcke fanden ihre Empfänger in den Speichern am Hafen. Was hier gelagert, bearbeitet und wieder verteilt wurde, brachten die Transporteure durch die Pforten an der Rückseite der Häuser zu den Bockschiffen, die auf den Kanälen in Richtung Innenstadt ablegten.
Obwohl Gerd in dem Haus ein Warenlager unterhielt und sich auskannte, schaute er gebannt in die Höhe. Die Luken in jedem Stockwerk wirkten heute dunkler als sonst und er bildete sich ein, überall Gesichter zu erkennen. Die Ereignisse der Nacht drückten auf die Stimmung und ein bisher unbekanntes Gefühl der Unsicherheit überfiel ihn.
Nach dem Anlegen ging er über die Straße zum Haus und klopfte mit einem Code mehrfach an die Tür aus Eichenholz mit eisernen Beschlägen. Es dauerte etwas, bis geöffnet wurde, und ein Mann im schwarzen Umhang und Kapuze vor Gerd stand. Das Gesicht lag im Dunkeln. »Du wolltest schon vor Tagen kommen«, sagte die unheimliche Gestalt und drehte sich wieder um. Gerd folgte ihm in den Flur, ohne seine Verspätung zu erklären.
Der Rote Gerd - Das Buch
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